Die goldene Nase.

Ein Bazar-Geschichtchen von Teo von Torn
in: „Rostocker Anzeiger” vom 1.12.1901,
in: „Montags-Revue aus Böhmen” vom 2.12.1901,
in: „Neue Hamburger Zeitung” vom 5.12.1901


„Esche! Dickfälliges Ungeheuer — hier muß ich Sie finden! Den ganzen Bazar habe ich nach Ihnen abgesucht!”

„Sehr schmeichelhaft, theurer Freund,” erwiderte Leutnant von Esche trocken, indem er eine Hummerscheere kunstgerecht zerlegte, „aber wenn Sie gekommen sind, um mich zum Hopsen abzuholen, dann können Sie Ihre Mission als gescheitert betrachten.”

„So,” eiferte Leutnant von Döffingen, in dem er mit dem zu einem Knäuel geballten Taschentuche sein erhitztes Gesicht und seinen Nacken frottirte, „während wir die Commandeuse schwenken, sitzen Sie am Buffet und schlecken Hummer. Na, wenn's Ihnen nur schmeckt —”

„Danke, es geht.”

„Aber so sagen Sie doch, Menschenkind, haben Sie bis zur Stunde auch nur einen einzigen Pflichttanz abgescherbelt?”

„Nein. Liegt auch nicht in meiner Absicht.”

„Und mit der Frau Oberst —?”

„Ganz ausgeschlossen. Ich bin nicht im Training.”

„Wieso — was heißt das?”

„Das heißt, daß meine Wirthin mir das dreibeinige Vertico, an dem ich bis jetzt immer geübt habe, aus dem Zimmer genommen hat.”

„Mann!” raunte Herr von Döffingen zwischen Ernst und Lachen. „Wollen Sie morgen in die Wurst gehackt werden?”

„Weil ich lieber Hummer esse, als mich in Schweiß hüpfen?” fragte Leutnant von Esche mit der abgeklärten Ruhe, die ihn auszeichnete. „Sehen Sie mal, wenn der Alte jetzt plötzlich — was der Himmel in Gnaden verhüten möge — Flöhe im Gehirn bekommt und Alarm blasen läßt, so hat er einen berechtigten Anspruch auf meine Beine. Das ist der königliche Dienst. Aber vom Lämmerspringen steht im Fahneneid nichts. Das ist ein Privatvergnügen, welches ich Euch selbstlos überlasse. Na, vor allen Dingen, trinken Sie mal ein Glas Sect, Döffingen. Sie sehen aus wie mein Hummer — nur nicht ganz so appetitlich.”

Waldemar von Döffingen — der schöne Waldemar, wie er im Regiment hieß — warf seinem Kameraden einen verweisenden Blick zu, ergriff aber doch den ihm zugeschobenen Becher und zog sich den perlenden Inhalt in kurzen, hastigen Schlucken zu Gemüthe.

„Ich begreife blos nicht,” stieß er zwischendurch hervor, „wie ein so ungeselliger Mensch solch ein Glück haben kann. Ahnen Sie überhaupt, weshalb ich Sie gesucht habe? Wer nach Ihnen gefragt und drei Mann auf Ihre Spur gehetzt hat?”

„Nein. Das ahnt meine Seele nicht.”

„Nun wohl — Miß Maud Soldan hat befohlen.”

Wenn Herr von Döffingen geglaubt hatte, daß Rolf von Esche emporfahren, ihm um den Hals fallen und davonstürmen würde. so irrte er sich. Einen Moment schien es allerdings, als wenn die Stirn des Leutnants von Esche, die er etwas tiefer als vorher über seinen Teller neigte, mit einer auffälligen Röthe sich übergösse — aber es konnte auch der Widerschein der rothumkleideten Buffetlampen sein. Ja, es mußte etwas Derartiges sein, denn ein Mensch, der aus irgend einer Gemüthsbewegung erröthet, träufelt nicht mit solcher Ruhe und Umsicht Mayonnaise auf etwas Hummerschwanz.

„Und darauf haben Sie kein Wort?” rief der Gesandte der kleinen Australierin, deren Millionen ebenso wie ihre faszinirende Schönheit alle Herzen der Garnison in Aufruhr versetzten — von dem unverheiratheten Etatsmäßigen bis auf den jüngsten Fähnrich herab.

„Was ist da viel zu reden, mein Lieber,” erwiderte Rolf von Esche, indem er den letzten Bissen in den Mund schob, mit der Serviette Lippen und Schnurrbart betupfte und sich dann erhob, „eine Dame hat befohlen — ich werde gehorchen.”

— — —

„Gnädigste —”

„Ah — Herr Leutnant von Esche!”

Die australische Insel, wie man die Gruppe der Verehrer nannte, welche den reizenden Fremdling unentwegt belagerte, löste sich in ihre Bestandtheile auf. Mit lächelnden Mienen, aber zornigen Gemüths zogen sich die Herren zurück — und Major von Brandenfels nahm sich vor, dem Glücklichen bei Gelegenheit zur Erkenntniß zu bringen, daß ein Stabsofficier schließlich auch bei den Weibern um eine Anzahl Points höher rangirt, als ein simpler Leutnant.

Miß Maud Soldan hob die langen dunklen Wimpern und sah aus den lichtblauen Augensternen zu dem jungen Officier auf. Es lag etwas überlegen Prüfendes in diesem Blick — und doch eine leise Unruhe. Dann klappte sie ihren Fächer heftig zu und fragte in einem Tone, der sich fast brüsk anhörte:

„Weshalb meiden Sie mich geflissentlich, Herr von Esche?”

„Ich kann diese Frage nicht beantworten, gnädiges Fräulein, ohne eine irrige Voraussetzung zu corrigiren. Ich meide meine liebenswürdige Schülerin von der Reitbahn nicht — es ist mir nur nicht recht gegeben, meine Verehrung sozusagen im Chor zu äußern — —”

„Dazu sind Sie zu stolz, nicht wahr?”

„Wenn Sie es so nehmen wollen — — ja; aber es trifft nicht ganz zu. Es liegt in meiner Natur nicht, mich unter Vielen hervorzudrängen.”

„Dann werden Sie wohl schwerlich jemals General werden, Herr von Esche.”

„Schwerlich.”

„Und Siege werden Sie auch nicht erfechten —”

„O doch!”

„So — meinen Sie wirklich?”

„Ja wohl, gnädiges Fräulein — über mich selbst!”

Miß Maud Soldan hob mit einer jähen Bewegung den Fächer bis zur halben Höhe des Gesichts. So hielt sie sich einen Moment, wie um sich zu sammeln. Dann sagte sie fest: „Lassen wir dieses Spiel mit Worten. Ich weiß, warum Sie mich meiden, Herr von Esche!”

Mit dem Effect dieses Angriffs konnte sie zufrieden sein. Der junge Officier zuckte wie unter einer schmerzhaften Berührung zusammen und sah einen Moment verstört und hilflos auf das schöne Weib nieder, das es sich in den Kopf gesetzt zu haben schien, ihn zu peinigen. Aber gerade das Absichtliche in alldem gab ihm bald seine Ruhe und Festigkeit wieder.

„Wenn Sie das wissen, gnädiges Fräulein,” entgegnete er ernst, „so wäre es vielleicht besser, Sie hätten mich nicht rufen lassen —”

„Aber weshalb, Herr Leutnant,” lächelte sie mit einem triumphirenden Aufblitzen in den schönen Augen. „Mir liegt daran, zu erfahren, was Sie unter einer goldenen Nase verstehen und unter Leuten, die nach einer solchen greifen.”

„Ich bedaure lebhaft, daß man Ihnen diese burschikose façon de parler hinterbracht hat, Gnädigste — aber die Erklärung darf ich Ihnen nicht schuldig bleiben. Leute, die nach einer goldenen Nase greifen, umschwärmen ein Weib ihres Geldes wegen.”

„Und Sie meinen, nur deshalb?”

„Je nun — ich würde jedenfalls mißtrauisch sein. Aber verstehen Sie mich recht, Miß Soldan,” fügte er hinzu, da er sah, wie ihre Augen sich feuchteten und ihre Zähnchen sich in die Unterlippe bohrten, „das gilt natürlich nur ganz im Allgemeinen. Wer so viel Liebreiz besitzt, wie Sie, wird die Ausnahme bilden, welche die Regel bestätigt.”

„Sie sind gräßlich,” stieß sie mit zuckendem Munde hervor. „Was hindert Sie denn, freundlich gegen mich zu sein!”

„Miß Maud — —”

„Nein, lassen Sie mich aussprechen! Verstößt es gegen Ihre Grundsätze, wenn Sie ein Wort mehr als einen flüchtigen Gruß mit mir wechseln? Während der ganzen Dauer des Bazars sind Sie nicht ein einziges Mal an meinen Blumenstand getreten. Weshalb?”

„Weil — weil ich keine goldene Nase habe,” erwiderte er mit einem stillen Lächeln. „Sie hatten proclamirt, daß jede Rose von Ihrer Hand hundert Mark koste — und da ich doch nicht gut handeln konnte mit Ihnen . . . . .”

Miß Maud Soldan erhob sich. In ihren Augen leuchtete und flimmerte es, und sie nahm ohne Weiteres Rolfs Arm. Willenlos folgte er ihrer Führung, und in wenigen Secunden waren sie an dem verlassenen Blumenstande in einem der Nebensäle des Casinos.

„Ich habe Ihnen eine Rose aufgehoben, Herr von Esche,” sagte sie fast schalkhaft, indem sie vorsichtig eine prachtvolle Gloire de Dijon von der Etagère nahm. „Ich schenke sie Ihnen.”

Dem jungen Officier stieg das Blut in die Wangen. Sollte sie soweit ihren Scherz mit ihm treiben?

„Pardon —” erwiderte er unsicher, „ich möchte nichts geschenkt nehmen, was sich nach Geldeswert beziffert und überdies den Armen gehört.” Dann fühlte er, daß das zu hart sich angehört hatte und fügte scherzend hinzu: „Wenn ich eine goldene Nase hätte, so würde ich diese Rose nehmen — und auch noch Vieles dazu!”

„Aber riechen dürfen Sie doch daran, ohne sich etwas zu vergeben?”

Damit drückte sie ihm die duftende Blüthe fest ins Gesicht. Dann hakte sie einen kleinen Perlmuttspiegel von ihrem Gürtel und reichte ihm denselben, indem sie ihm lebhaft zunickte, mit der Weisung, sich zu betrachten.

Rolf von Esche hatte eine blitzblanke, goldgepuderte Nase — — — die goldene Nase, die ihn berechtigte, die Rose zu nehmen — und noch Vieles mehr!

Und er küßte in jauchzendem Glück die Rose trotz des Goldstaubs, der ihr noch reichlich anhaftete, und Miß Maud Soldan trotz der goldenen Nase, für die sie doch wahr und wahrhaftig nichts konnte — wie sie ihm unter Thränen lächelnd versicherte.

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